Musikstandort Tirol

18. Oktober 2022MusikwirtschaftMusikVeranstaltungKooperation: Tiroler Wirtschaft
Tiroler Wirtschaft
VAZ Hafen

Die Musikwirtschaft verdient mehr Aufmerksamkeit: Durch die Streichung von Veranstaltungsorten hat Tirol wichtige Konzert-Plätze verloren. Dabei ist mit solchen Events eine große Wertschöpfung verbunden.

Ich finde Musik eine der schönsten und urspünglichsten Kunstformen. Musik lernt Kreativität und es ist ein Fehler, das so zu vernachlässigen“, sagt Kenneth Winkler. Winkler weiß, wovon er spricht. Er ist Gründer und CEO des professionellen Ton- und Musikstudios weyrerTon in Innsbruck und vertritt die Musikwirtschaft in der Fachvertretung der Film- und Musikwirtschaft der WK Tirol. Winkler ist Musikschaffender aus und mit Leidenschaft und wenn er seine romantischen Betrachtung der großen Wirkkraft von Musik mit einer tristen Feststellung ausklingen lässt, hat das gleich mehrere gute Gründe: „Dem Musikstandort Tirol fehlen Veranstaltungsflächen. Wir haben das akute Problem, dass innerhalb von wenigen Jahren Stadtsäle, Weekender und Hafen ersatzlos gestrichen wurden.“

Die drei Innsbrucker Häuser hatten enorme Kapazitäten geboten. Denn sie waren professionelle Standorte, in denen Tiroler Veranstalter nach internationalen Standards Konzerte veranstalten konnten. „Mit Konzertveranstaltungen ist eine große Wertschöpfung verbunden“, weiß Winkler. Derart bespielte Orte beleben schließlich den ganzen Standort.

Starke Erinnerungen

Ein ganz kleiner und nur auf Name-Dropping konzentrierter Blick in das Bühnen-Gipfelbuch des 2019 geschlossenen Innsbrucker Hafens, des legendären Veranstaltungszentrums im Westen der Landeshauptstadt, untermauert das folgenschwere Innsbrucker Veranstaltungs-Requiem mit starken Namen und Erinnerungen. The Cure, Bischof Reinhold Stecher, Sportfreunde Stiller, Deep Purple, Element of Crime, Die Ärzte, Alanis Morisette, Tiger Lillies, Die Seer, Hubert von Goisern, Einstürzende Neubauten, Judas Priest, Stefanie Werger, Hans Söllner und so weiter und so teils weltweit bekannt traten im Hafen auf.

Auch die Toten Hosen, die am 2. Juli 2022 ihren 40. Geburtstag im Wiener Happel-Stadion feiern, waren hier und alle Bands lockten über die Jahre zigtausende begeisterte Gäste, die dafür und dabei gerne Geld ausgegeben haben. Ungezählt sind die Besucher des Flohmarktes, der dort über 1.200 Mal stattgefunden hat. Und die Konzerte und Partys im Hafen selbst wurden von rund sieben Millionen Menschen besucht. Sie hatten Spaß. Und sie haben konsumiert.

Musikstandort-Fragen

Weil das Veranstaltungsgeschäft eine recht volatile Angelegenheit ist, lassen sich Zahlen nicht leicht über einen Kamm scheren. Es konnte den Hafen-Veranstaltern aber durchaus passieren, dass sie an einem richtig guten, ausverkauften Abend einen Umsatz von rund 50.000 Euro erwirtschafteten. Davon mussten die Gagen der Künstler, aller Angestellten und Helfer vor Ort, Flüge, Taxis, Werbung und nicht zuletzt die Vergnügungssteuer bezahlt werden, die bis 2017 die Veranstalter schwitzen und ihren Umsatz schrumpfen ließ.

Meist wurden mit den Einnahmen aus den Ticketverkäufen diese Fixkosten gedeckt. „Das heißt, den Gewinn machst du dann mit der Gastro“, so Winkler. Er rechnet vor: „Je nachdem was für eine Veranstaltung das ist – ein Club-Abend mit mehreren DJs und tanzwütigen Gästen oder ein Konzert mit einer Vorband – kann der Betrag pro Kopf zwischen 8 und 15 Euro schwanken und entsprechend der Gewinn.“ Der Gewinn ergab sich dann aus der Multiplikation der Gastroausgaben mit der Anzahl der Gäste, deren Zahl im Hafen oft zwischen 1.000 bis 1.500 lag. Allein die hier beschriebenen Geldflüsse rund um ein Hafen-Konzert sind schon beeindruckend. Und die Umwegrentabilität, die Gäste von auswärts losgetreten haben, ist das nicht minder.

„Dem Musikstandort Tirol fehlen Veranstaltungsflächen. Wir haben das akute Problem, dass innerhalb von wenigen Jahren Stadtsäle, Weekender und Hafen ersatzlos gestrichen wurden.“

 

– Kenneth Winkler –

„Das ist ein großer Wirtschaftsfaktor. Wir haben in Innsbruck ein riesen Umland mit 250.000 Menschen und vor Ort über 30.000 Studenten. Wir haben aber auch ein großes Einzugsgebiet. Es reicht bis München, Bozen oder Zürich. Wenn Leute Interesse daran haben, sich ein Konzert in Innsbruck anzuhören, kommen sie“, so Winkler.

Aufgrund der fehlenden Veranstaltungsorte ist der Umkehrschluss jedoch realistischer, weil Tiroler:innen gezwungen sind, nach München, Wien, Berlin oder sonstwo hin zu reisen, um ihre Lieblingsbands zu hören. „Gerade in Zeiten, in denen wir viel über Nachhaltigkeit reden – nachhaltigen Tourismus und Städtetourismus – ist das schon ein Aspekt, ein Anreiz, den Standort in diese Richtung zu gestalten und aufzuwerten“, befeuert Kenneth Winkler die zu leise geführte Diskussion zur Aufwertung des Musikstandortes durch Veranstaltungsorte, mit denen die „geschlossenen Drei“ kompensiert werden könnten.

„Wenn wir dem keinen Raum geben und keine Möglichkeit, sich zu entfalten, dann wird das immer weiter vor sich hin dümpeln und weniger und weniger werden“, so Winkler, der in dem Zusammenhang nicht nur von der verlorenen Wertschöpfung spricht, sondern von der österreichischen Musikwirtschaft im Allgemeinen, die in der Bugwelle des digitalisierten und globalisierten Marktes extrem harte Zeiten durchlebt.

Wirtschaftliche Bedeutung

Hannes Tschürtz, Vorstand im Verband der Österreichischen Musikwirtschaft (IFPI), hatte jüngst auf die prekäre Situation der Musikschaffenden aufmerksam gemacht und im Rahmen der IFPI-Jahrespressekonferenz eine deutliche Erhöhung der Förderungen im Musikbereich gefordert, um das offenkundige Potential der Musikschaffenden auch tatsächlich entfalten zu können. „Insbesondere in den Bereichen Ausbildung, Vermarktung und Export fehlen nach wie vor die Mittel, um sinnvolle Fortschritte erzielen zu können, die auch mittel- bis langfristig Auswirkung auf die lokale Musikwirtschaft und damit das Kulturbild Österreichs haben. Es kann nicht sein, dass eine Hollywood-Produktion für ein paar Tage in Wien vom Bund mehr Fördergelder erhält, als der gesamte österreichische Musikmarkt für sein wichtigstes Förderinstrument, den Österreichischen Musikfonds“, so Tschürtz.

Der zuletzt vom Bund mit einer Million Euro jährlich geförderte Österreichische Musikfonds ist mit einem Gesamtvolumen von 1,6 Millionen Euro chronisch unterdotiert und Kenneth Winkler stellt fest: „In der Musikwirtschaft sind wir jetzt auf einem Stand wie in den 1990er Jahren.“

Bühnen sind essenziell Stadt und Mensch

Die bedrohliche Situation wird durch den Mangel an Veranstaltungsorten verschärft. Es wirkt wie ein Teufelskreis für den Musikstandort. Dabei würde es sich echt lohnen, diesen zu durchbrechen. „Eine Südtiroler Studie hat das recht eindrucksvoll belegt“, lenkt Winkler den Blick über den Brenner, wo das Institut für Wirtschaftsforschung der Handelskammer Bozen (WIFO) im März 2022 einen Bericht über die wirtschaftliche Bedeutung der Kultur in Südtirol veröffentlichte.

„Die Kultur- und Kreativwirtschaft ist mit einer Wertschöpfung von 1,05 Milliarden Euro und 16.677 Beschäftigten im Jahr 2019 ein wichtiger Sektor der lokalen Wirtschaft, trägt sie somit doch zu etwa 5 % der Gesamtwertschöpfung (4,6 %) bzw. Beschäftigung (5,6 %) Südtirols bei. Die Wertschöpfung, die in der Südtiroler Kultur- und Kreativwirtschaft pro Einwohner erzielt wird, liegt damit deutlich über dem italienischen Schnitt und nach dem Latium und der Lombardei italienweit an dritter Stelle“, heißt es in dem WIFO-Bericht, in dem zu den Wertschöpfungsketten weiter festgehalten wird: „Die öffentlichen Kulturausgaben des Landes bewirken zum einen direkte Effekte im Ausmaß von rund 63,4 Millionen Euro, vor allem im Kunst- und Kulturbereich selbst. Die direkten Effekte erzeugen eine zusätzliche Nachfrage über weitere Sektoren der Südtiroler Wirtschaft im Ausmaß von rund 97,8 Millionen Euro. So profitieren beispielsweise auch das Grundstücks- und Wohnungswesen, Dienstleister oder der Handel von den Kulturausgaben des Landes.“

Branchensprecher Kenneth Winkler motivieren auch diese Zahlen dazu, die Diskussion um neue Konzert-Veranstaltungsorte weiter anzuheizen und er sagt: „Solche Bühnen sind essenziell für die Stadt und ihre Menschen. Egal ob sozial, kulturell oder wirtschaftlich.“ Stimmt.